Digitalisierung im Gesundheitswesen

Aus Sicht des Informatikers haben Banken und Spitäler sehr viele Dinge gemeinsam. In beiden Branchen werden persönliche Daten verarbeitet und die Kunden verlangen ein hohes Mass an Privatsphäre. Beide Branchen wollen und müssen sehr stark auf die Bedürfnisse Ihrer Kunden eingehen. Alle Teilnehmer in beiden Branchen müssen sich sehr stark mit anderen Teilnehmern vernetzen. Beide Branchen sind vielfältig und komplex. Beide Branchen sind hochgradig reguliert.

Und trotz all dieser Gemeinsamkeiten sind Banken und Spitäler in Bezug auf die Digitalisierung ganz unterschiedliche erfolgreich. Es drängt sich die Frage auf, was können Spitäler bezüglich Digitalisierung von den Banken lernen?

Erfolgsgeschichte des E-Banking:

Die Kundenbeziehung ist zentral für das Retail-Bankengeschäft. Schliesslich soll der Kunde der Bank sein Geld anvertrauen, damit die Bank dieses Vermögen beschützt und damals noch via Zinsen vermehrt (1994 war der LIBOR Satz noch über 6%). Kundenbeziehungen waren in der Tendenz auch sehr langfristig angelegt. Nicht umsonst hat sich der Begriff der Hausbank im Sprachgebrauch eingebürgert.

Trotzdem haben sich die grossen Retail-Banken schon sehr früh darum bemüht die Kundenbeziehungen zu digitalisieren. Der erste Schritt in diese Richtung waren Bancomaten, die es in der Schweiz bereits seit 1967 gibt und seit 1978 von der Telekurs AG auch im Bancomat System vernetzt wurden. Bereits 1994 gab es in der Schweiz bereits knapp 3000 Bancomaten (Mehr dazu).

Auch 1994 ist der erste Online Shop "Netmarket" oder "Internet Shopping Network" ans Netz gegangen und hat damit die Geburtsstunde von E-Commerce eingeläutet. 1996 lancierte OP Financial Group die erste Online Bank in Europa. In der Schweiz hat Ergon Informatik 1997 das erste E-Banking für die Credit Suisse gebaut.

Mit Bancomaten und E-Banking habe die Banken zwei zentrale Wertschöpfungsprozesse digitalisiert: den Bargeldbezug und die Einzahlungen. Diese Prozesse waren ein grosser Kostenfaktor für die Banken, weil jeder Kunde mindestens einmal im Monat Einzahlungen und Bargeldbezüge machte. Die Banken haben die Digitalisierung genutzt um Kosten zu reduzieren indem neu die Arbeit von den Kunden selbst anstatt von Mitarbeitern am Bankschalter durchgeführt wurden. Die Kunden haben das begrüsst, weil der Zugang zur Bank und ihren Dienstleistungen einfacher und bequemer wurde. 

Rückblickend können wir den Erfolg des E-Banking an den Auswirkungen auf das Filialnetz deutscher Banken beobachten (Mehr dazu). Die Anzahl Bankfilialen in Deutschland sank von 63'000 im Jahr 1997 auf 36'000 im Jahr 2013. Dieser Rückgang kann nur durch die verminderte Nachfrage für Schalterdienstleistungen erklärt werden. Es ist kaum anzunehmen, dass Menschen heute weniger Rechnungen bezahlen als früher, aber sie tun es auf andere Art und Weise - Via Kreditkarte oder via E-Banking.

Am 14. September 2019 ist das PSD2 Gesetz in Europa in Kraft getreten und jetzt müssen alle Banken staatlich verordnet den Zugang zu Konten (Account Information) und Zahlungen (Payment Initiation) freigeben. Das wird erstens den Trend zur Digitalisierung nochmals verstärken, weil neue innovative Finanz-Produkte um Kunden buhlen und zweitens wird die exklusive Bindung zwischen Bank und Kunde aufgeweicht, weil Kunden neu via Mittelsmänner auf abstrahierte und austauschbare Dienste ihrer Hausbank zugreifen können. Logos und Identität werden aber vom Mittelsmann präsentiert und die Bank wird so in der Wahrnehmung der Kunden in die zweite Reihe verdrängt.

E-Hospital gesucht

Im Gesundheitswesen der Schweiz ist die Digitalisierung noch wenig verbreitet. Die Begründung, dass dies am Alter der Ärzte liege und es nur eine Frage der Zeit ist bis jüngere Ärzte das Steuer übernehmen greift zu kurz. Es gibt entscheidende Unterschiede zwischen Banken und Leistungserbringern und diese gilt es zu verstehen, bevor eine sinnvolle und erfolgsversprechenden Digitalisierungsstrategie entworfen werden kann.

Die Patientenbeziehung kann nicht virtualisiert werden. Es gibt zwar Ansätze, die recht erfolgreich Videokonferenzen und Smartphone Fotografie einsetzen um Ferndiagnosen zu stellen, aber das kann den Arztbesuch nur in einem Teil der Fälle ersetzen. Dies führt dazu, dass die der Arztbesuch eine starke örtliche Bindung hat und im Gegensatz zu Banken können Leistungserbringer den örtlichen Bezug nicht durch ein engmaschiges Filialnetzwerk auffangen. Wechselt jemand seinen Wohnort ist die Chance hoch, dass auch die Gesundheitsversorger wechseln.

Die Möglichkeit um Kosten zu optimieren sind im Gesundheitswesen stärker fokussiert. Banken haben regelmässigen Kontakt mit allen ihren Kunden. Patienten sind nur dann im Kontakt mit Leistungserbringern, wenn der Kontakt zwingend nötig ist. Die meisten Menschen verzichten sehr gerne jahrelang auf den nächsten Arztbesuch. Anders sieht die Situation für 25% der Schweizerischen Bevölkerung aus. Gemäss des Nationalen Gesundheitsberichts 2015 lebten im 2015 2.2 Mio. Menschen mit einer chronischen Krankheit und 20% der über 50 jährigen Bevölkerung leiden an einer Multimorbidität. Insgesamt sind chronische Erkrankungen für 80% der gesamten direkten Gesundheitskosten der Schweiz verantwortlich. 

Für Banken ist die Kundenbeziehung einfach ein Konto das kontinuierlich existiert und Interaktionen mit dem Kunden sind einfach Vorgänge auf dem Konto. Ob der Kunde noch andere Konten bei anderen Banken hat, ist der Bank eigentlich egal. Im Gesundheitswesen ist die Betrachtung vielschichtiger. Aus kommerzieller Sicht betrachten Leistungserbringer die Patientenbeziehung als Fall, der abgewickelt werden soll. Aus medizinischer Sicht geht es bei der Patientenbeziehung um die Behandlung im Zusammenhang mit einer Diagnose. Wenn 20% der über 50-Jährigen an einer Multimorbidität leiden, dann haben viele Betroffene Patientenbeziehungen mit mehreren Behandelnden.

Im Bankenumfeld ist mit PSD2 ein Gesetz erlassen worden, dass Banken zwingt mit Dritten zusammenzuarbeiten. Im Gesundheitswesen gibt es zwei Gesetze die sich direkt mit der Arbeit der Behandelnden auseinandersetzen. Das Datenschutzgesetz definiert alle Arten von Gesundheitsdaten als besonders schützenswert und setzt für die Bearbeitung von Gesundheitsdaten sehr hohe Hürden damit die Privatsphäre der Menschen garantiert werden kann. Konsequent angewendet bedeutet das DSG für jeden Behandelnden folgendes: je weniger Daten er speichert (Datensparsamkeit), je früher er sie löscht (Angemessenheit) und je weniger er sie teilt (keine Probleme mit der Zustimmung und dem Willen des Patienten), desto besser erfüllt er die Auflagen des Datenschutzes.  In Bezug auf die Digitalisierung muss der Datenschutz als "ja, aber" Gesetzgebung akzeptiert werden. Das zweite wichtige Gesetz ist das Gesetz zum elektronischen Patientendossier. Der eigentliche Sinn des Patientendossiers ist es dem Patienten seine medizinischen Dokumente in seine Kontrolle zu übergeben. Was das EPD nicht sein will ist ein Gesetz für die Kommunikation zwischen den Behandelnden. Für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist aber dieser Aspekt entscheidend: Die Banken werden mit PSD2 gezwungen sich zu öffnen und elektronische Schnittstellen anzubieten. Den Behandelnden im Gesundheitswesen wird mit dem EPD die Kommunikation auf den Austausch mit dem Patienten eingeschränkt. Dieser Unterschied erklärt, warum PSD2 die Digitalisierung fördert und EPD sie beschränkt. 

Trotz der viel schwierigeren Ausgangslage kommt die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Im Rahmen des Events "Offene Plattform zur EPD Einführung von eHealth Suisse zum EPD" am 28 Jan 2020 wurden Zahlen gezeigt, wie sich der Datenaustausch in der Zeit von 2015 - 2019 entwickelt hat.

Vergleich mit Spitälern. Spannend Zahlen, die im Rahmen des Events "Offene Plattform zum Stand der EPD-Einführung am 28.1.2020 präsentiert wurde. Bei den Zuweisungen hat sich der Anteil der Papier Medien (Post, Fax) von 67% auf 33% reduziert und der Anteil der elektronischen Medien von 20 auf 55% gesteigert. Bleibt zu hoffen, dass alle diese Ärzte, die E-Mail für Zuweisungen verwenden, die Daten auch angemessen verschlüsseln.

Treiber der Digitalisierung

Wettbewerb

Im stationären Bereich ist der Wettbewerb um Patienten im vollen Gange. Das Ziel scheint möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit zu behandeln um eine maximale Anzahl an Fallpauschalen zu erhalten. Um dieses Ziel zu erreichen muss der Leistungserbringer sowohl Zuweiser als auch Patienten positiv für sich einnehmen können. Dabei ist die medizinische Kompetenz nur ein Aspekt des Leistungspaket, dass Patienten und Zuweiser erhalten wollen. Ein moderner digitaler Auftritt, einfache Erreichbarkeit, informative Inhalte und gute Benutzerführung sind mindestens ebenso wichtig um sich auch langfristig im Wettbewerb gegen andere Anbieter abzuheben.

Dessen war sich auch die Credit Suisse 1997 bewusst. Bereits damals hat sie das neue E-Banking mit Slogans wie "Das neue Direct Net ist kinderleicht" und "Die Bank, die rund um die Uhr für sie geöffnet hat" beworben.

Kostendruck

Der Kostendruck im auf Leistungserbringer im Gesundheitswesen nimmt zu. Die Entwicklung zeigt bei den niedergelassenen Ärzten einen Trend zu Praxisgemeinschaften oder Ärztenetzwerken und im Bereich der Spitäler gibt es auf Kosten der Regionalspitäler eine Verlagerung hin zu Zentrumsspitälern. Die ökonomische Realität zeigt, dass grössere Organisationen die Kosten besser auffangen können und in diesem Verdrängungskampf besser aufgestellt sind. Neben den organisatorischen Veränderungen innerhalb der Leistungserbringerorganisationen gibt es aber auch Möglichkeiten um Tätigkeiten von der internen Organisation zu den Zuweisern oder zu den Patienten zu verlagern. 

Banken haben Verlagerungen von Aufgaben sehr erfolgreich demonstriert, als sie den Bargeldbezug oder die Erfassung von Rechnungen an die Kunden verlagert haben. Im Gesundheitswesen gibt es hier einiges an Potential, wenn Patienten die Daten vor dem Eintreten ins Spital selbst erfassen inklusive persönlicher Präferenzen und als "Gegenleistung" gleich alle wichtigen Termine in Ihre Agenda kopiert erhalten. Spitäler, die das so umsetzen, berichten von drei Effekten - erstens geht die Neuaufnahme schneller, zweitens gibt es weniger Patienten die zu spät oder am falschen Ort erscheinen und drittens sind die Patienten zufriedener, weil das Spital besser auf ihre Bedürfnisse eingegangen ist. 

Regulatorische Anforderungen

Die regulatorischen Anforderungen im Gesundheitswesen waren bereits in der Vergangenheit bereits sehr hoch und mit der Einführung des EPD und der Überarbeitung des Datenschutzgesetzes (DSG) werden die Anforderungen weiter zunehmen. Die Sicherheit medizinischer Daten, die Identifikation der Akteure und die Autorisierung von Tätigkeiten durch die Patienten und die Nachvollziehbarkeit von Zugriffen auf medizinische Daten sind ganz klar im Fokus des Gesetzgebers. Dies lässt sich sehr einfach daran erkennen, dass der grösste Teil der technischen Vorschriften im EPD die Themen Identifikation, Authentisierung, Autorisierung und Logging betreffen. 

 

Fazit

Das Gesundheitswesen kann durchaus vom Erfolg der Banken lernen, auch wenn die Herausforderungen im Gesundheitswesen komplexer sind. Wichtig ist es zuerst wertschöpfende Prozesse zu identifizieren, die sich für die Digitalisierung wirklich eignen und welche die Entwicklung der eigenen Organisation positiv voranbringen können. Bei der Umsetzung der digitalen Prozesse muss die IT-Sicherheit früh berücksichtigt werden, denn eine Vertrauensverlust kann sich niemand leisten. Zu einfach ist es auch im Gesundheitswesen einen Anbieter durch einen Anderen zu ersetzen. Das Identitätsmanagement ist ein Baustein, der zentral ist sowohl für die Autorisierung als auch für die Nachvollziehbarkeit und darum vom Gesetzgeber gefordert wird. Wer diese Komponente zu wenig Aufmerksamkeit schenkt der läuft Gefahr Kunden und Partner zu verlieren, bevor der Wertschöpfungsprozess überhaupt gestartet wurde. Das Identitätsmanagement cIAM von Airlock bietet eine zentralisierte Identitätsverwaltung für sichere und effiziente Zugangsverfahren zu digitalen Services.

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